Das „böse“ Karma und die Heilung

Das „böse“ Karma und die Heilung in der Aufstellung

In der Bibel heißt es, die Sünden der Väter würden auch noch die dritte und vierte Generation befallen (2Mose 20,5). Im Buch Ezechiel finden wir den treffenden Satz: „Die Väter essen saure Trauben und den Söhnen werden die Zähne stumpf“ Ezechiel, 18,2).

In den östlichen Religionen spricht man vom Karma, das diesen Zusammenhang ganz ähnlich beschreibt. Das nahezu universelle Konzept des Karma  besagt schlicht, dass wir ernten, was wir säen. Nichts in der Welt verflüchtigt sich einfach, sondern reift früher oder später zu einer eigenen guten oder zerstörenden Frucht heran. Manchmal geht die böse Tat auch erst nach Generationen auf und treibt ihre Blüte. Das bedeutet nichts anderes, als dass Probleme von einer Generation auf die nächste oder übernächste weitergegeben werden. Besonders die Frucht der bösen Taten unserer Vorfahren geht nicht selten bei den Nachkommenden als Krankheit oder als Beziehungsstörung auf. Dazu ein Beispiel aus einer Familienaufstellung:

Katja,  eine 35-jährige Frau kommt mit Andy (48) zur Paartherapie. Um ihre Ehe steht es schlecht. Ebenso wie um die Gesundheit der Frau. Katja hat seit Jugendjahren einem deformierten Rücken als Folge einer Autoimmunerkrankung. Nur mit heftigen und hochdosierten Schmerzmitteln kann sie ihren Alltag bewältigen. Die nächste Operation steht bevor und ist nur deshalb noch nicht durchgeführt, weil sie immer wieder heftige Erkältungen und Infektionen hat. Mediziner haben ihr prophezeit, dass sie früher oder später so versteifen wird, dass sie nicht mehr gehen kann.

Das Paar hat vier Kinder im Alter von anderthalb, drei, fünf und sieben Jahren. Ihre Wohnsituation ist äußerst kompliziert und konfliktbeladen. Sie wohnen in einem älteren Haus, gemeinsam mit Katjas Eltern. Die Wohnbereiche der beiden Familien sind nur unzureichend getrennt. Das Zusammenleben mit den Eltern ist geprägt von heftigen Aggressionen, die hauptsächlich von ihrem Vater ausgehen und sich bis zu tätlichen Angriffen gegen ihren Ehemann, dem Besitzer des Hauses, richten. Angeregt durch unsere Gespräche wird ihnen klar, dass die eigentlichen Konflikte nicht zwischen den Paar bestehen, sondern von Katjas Eltern ausgehen und auf das Paar übertragen werden. Nachdem das Paar sich räumlich sichtbar durch das Trennen der zwei Wohnungen ihren Eltern  abgeschottet hat, wurden ihre Schmerzen in kurzer Zeit deutlich weniger. Der Konflikt mit den Eltern spitzte sich jedoch immer mehr zu. In dieser Situation hat Katja eine Aufstellung gemacht:

Aufgestellt werden Katja, ihr Mann Andy und ihre Krankheit. Die Stellvertreter von Katja und Andy schauen sich freundlich und wohlwollend an. Auf meine Frage, wie es ihnen miteinander geht, antworten beide wie aus der Pistole geschossen, „zwischen uns ist alles in Ordnung“. Sie schauen sich dabei freundlich und entspannt an. Die Stellvertreterin der Krankheit schaut wie gebannt auf Katja. Auf mein Nachfragen hin erklärt sie, sie gehöre zu Katja, ja, sie sei ein Teil von ihr und untrennbar mit ihr verbunden. Egal, wohin sich Katjas Stellvertreterin im Raum bewegt, die Krankheit folgt ihr. „Mich wirst du nicht mehr los“, sagt sie zu Katja. Es sieht aus, als gäbe es kein Entrinnen vor der Krankheit. Dann hole ich Katjas Vater in die Aufstellung herein und schlagartig verändert sich die Situation. Die Stellvertreterin der Krankheit wendet sich sofort von Katja ab und wendet sich mit magischem Blick dem Vater zu. Mit einem Leuchten in den Augen sagt sie zu ihm: „Bei dir ist mein Platz, nur zu dir gehöre ich, sonst zu niemandem“. Der Stellvertreter des Vaters wird extrem wütend und sagt: „Ich will dich nicht haben, geh weg von mir“! Auf meine Frage zur Krankheit, was sie noch mit Katja zu tun habe, sagt sie klar und bestimmt: „Nichts! Mein Platz ist bei ihm!“ und schaut zum Vater hin. Und mit Blick auf Katja sagt sie: „Mit dir habe ich nichts mehr zu schaffen. Ich wünsche dir Glück!“  Ich lege symbolisch ein Seil als trennende und undurchdringliche Grenze zwischen dem Vater und der Krankheit auf der einen Seite und Katja auf der anderen. Katja lasse ich zum Vater sagen: „Sie ist ein Teil von dir. Aus Liebe habe ich die Krankheit lange Zeit getragen. Aber sie gehört mir nicht, ich gebe sie dir zurück. Katja und Andy haben kein Interesse mehr an der Krankheit. Sie schauen sich liebevoll an und gehen gemeinsam in Richtung Zukunft. An diesem Punkt wird die Aufstellung beendet.

Zwei Wochen nach der Aufstellung rief mich Katja an, um mir von dem Wunder zu erzählen, das sie erlebt hat. Sie, die jahrelang kaum gehen konnte, hat zusammen mit ihrer Familie eine zehn-Kilometer-Wanderung gemacht. Schmerzmittel hat sie alle abgesetzt und den Operationstermin komplett abgesagt.  Eine weitere positive Folge war, dass ihre Eltern kurz darauf überraschend ausgezogen sind.

Wir begegnen in dieser Geschichte wieder jenem Ganzheitswissen, das unserer Seele innewohnt und uns dahin führen will, die Dinge dort zu lassen, wo sie hingehören; die Dinge, die wir aus einer archaischen Liebe heraus einem anderen abgenommen haben. Nicht selten sind die Ursachen von Krankheiten nicht im kranken Individuum, sondern im kranken Familiensystem zu finden. Diese Leiden können wir verringern oder ganz heilen, weil wir vom Leben mit der wohl wertvollsten Mitgift ausgestattet sind: der Fähigkeit zu Einsicht und Bewusstwerdung. In Familienaufstellungen, so habe ich zu zeigen versucht, können wir von dieser Mitgift auf besonders schöne Weise Gebrauch machen.

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