8. März 2017
Familienaufstellungen
In einer Art Ur-Liebe ist jeder Mensch auf tiefste Weise mit seinen Eltern und Geschwistern, aber auch mit allen anderen Mitgliedern seines Familiensystems verbunden. Die später geborenen Familienmitglieder sind immer durch eine „ primäre Liebe „ an die früher geborenen gebunden. Dies gilt selbst dann, wenn diese anderen Familienmitglieder unbekannt oder tabuisiert sind, wie z.B. verheimlichte Halbgeschwister oder ein tot geborenes Geschwister.
In unbewusster Loyalität mit der Herkunftsfamilie nehmen wir Schuld und vieles Unerledigte und Ungeklärte von früher Geborenen auf uns und versuchen deren Schicksal zu wenden. So entsteht stellvertretendes seelisches Leid und Krankheit dadurch, dass man den tiefen unbewussten Wunsch in sich trägt, das Leid eines Früheren nachzuahmen. Die Lösung ist möglich durch die liebende Achtung jener Familienmitglieder, die ein schweres Schicksal hatten.
Durch die Bindung an eine Frau oder einen Mann entsteht dann später eine zweites Familiensystem: das gegenwärtige Paar oder die gegenwärtige Familie. Wenn sich Mann und Frau binden, tun sie das nicht als unbeschriebene Blätter und Individuen, denn beide bringen die transgenerationalen Erfahrungen ihrer Herkunftsfamilien mit. Somit treffen bei der Bindung eines Paares zwei Familiensysteme aufeinander.
Jeder Mensch trägt ein zutiefst unbewusstes Bild von seiner Familie in sich. In diesem Bild sind Erfahrungen und Erlebnisse seiner Vorfahren, egal welcher Art, gespeichert. Dieses unbewusste Bild lässt sich durch Aufstellungen seiner Familienmitglieder (durch fremde Stellvertreter) erleben. Auf diese Weise können Eltern-Kind-Beziehungen, Partnerprobleme, Adoptionen, sexueller Missbrauch, Krankheit und Leid in neuer Weise erfahren und Lösungen gefunden werden.
Mit der Aufstellungsarbeit lassen sich jedoch auch Probleme in Organisationen, Teams, Firmen und sozialen Einrichtungen erkennen und lösen.
Aufstellungen werden in der Regel in Gruppen durchgeführt.
Wie funktionieren Aufstellungen?
Das Procedere bei einer Familienaufstellung verläuft folgendermaßen: Nachdem der Ratsuchende vor dem therapeutischen Begleiter und der Gruppe kurz sein Anliegen geschildert hat, entscheidet der Seminarleiter, auf welche Weise die Aufstellung durchgeführt werden kann. Nicht immer wird die ganze Familie aufgestellt. Falls einzelne Mitglieder in Frage kommen, wählt der Aufstellende sowohl für diese, als auch für sich selbst Stellvertreter aus der Gruppe aus und stellt diese nach seinem inneren Bild auf. Dann setzt er sich. Anschließend zeigt sich dann, dass völlig Fremde genau spüren und darstellen können, wie sich das jeweilige Familienmitglied in der Tiefe fühlt. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses Familienmitglied bereits tot ist oder noch lebt. Was sehr häufig sichtbar wird, ist die bislang verborgene seelische Dynamik hinter einer Krankheit, einem Paarproblem oder einer psychischen Störung. Nachdem der Seminarleiter durch verschiedene Schritte eine Lösung gefunden hat, kann der Ratsuchende sich selbst an seine Position stellen. Am Schluss ist es für ihn bisweilen notwendig, bestimmten Personen noch etwas Wichtiges mitzuteilen.
Immer wieder werde ich gefragt, wie und warum Aufstellungen tatsächlich „funktionieren“? Wie lässt sich erklären, dass fremde Menschen als Stellvertreter in einer Familienaufstellung detaillierte, korrekte Angaben über die einzelnen Familienmitglieder oder die Familiendynamik machen können? Albrecht Mahr hat dafür den Begriff des „wissendes Feldes“ geprägt. Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist die Arbeit des Biologen Rupert Sheldrake über die „morphogenetischen Felder“. Er geht davon aus, dass diese raum-zeitliche Organisationsmuster sind. Diese Felder besitzen ein eingebautes Gedächtnis, das alle Informationen gespeichert hat, die auf diesem Stück Erde oder in dieser Familie oder dieser Firma/Organisation bedeutsam waren.
Offensichtlich wird durch die räumliche Platzierung eines Familiensystems in einem Raum etwas geschaffen, was einem morphogenetischen Feld sehr ähnlich ist. Beim Familien-Stellen handelt es sich somit um einen Sonderfall der Wahrnehmung auf nicht bewusster, tiefer Ebene..
Welchen Gewinn habe ich davon, wenn ich als Stellvertreter oder stiller Beobachter an einer Aufstellung teilnehme?
All diejenigen, die schon öfters an Aufstellungsseminaren teilnahmen, haben dabei die existenzielle, mit dem Leben verbindende, Energie gespürt und erfahren. Es ist das Wahrnehmen des Wesentlichen. Mit dieser versöhnenden Lebensenergie in Berührung zu kommen hat für alle Teilnehmenden etwas heilsames, nicht nur für die Aufstellenden selbst. Aufstellungsarbeit ist Versöhnungsarbeit und bringt uns mit größerem in Berührung.
Und noch ein zweites dürfen wir erleben. Viele der aufgestellten Themen berühren uns auch deshalb so sehr, weil sie in mehr oder weniger ähnlicher Form auch unsere eigenen Lebensthemen berühren. Neulich hat mich ein Mann angerufen, der sich zu einer Aufstellung angemeldet hatte. Er sagte mir, dass diese Aufstellung nicht mehr nötig sei, weil er in der letzten Familienaufstellung, an der er als Stellvertreter teilnahm, das Problem für sich lösen konnte. Indem er als Stellvertreter teilnahm, hat sich sein Aufstellungsanliegen sozusagen stellvertretend gelöst.
Und noch ein dritter Aspekt möchte ich hier benennen: Aufstellungsarbeit ist Friedensarbeit. Wenn ich an Aufstellungsseminaren teilnehme, leiste ich einen großen Beitrag zu Frieden- und Versöhnung – in meiner eigenen kleinen Welt, wie auch in der großen.