Die meisten Menschen werden früher oder später damit konfrontiert, dass ihr Körper nicht mehr das tut, was sie sich von ihm wünschen, nämlich reibungslos zu funktionieren. Diesen Sachverhalt nennen wir dann Krankheit und gehen damit zum Arzt, damit er diese Störung möglichst rasch beseitigen möge. Wir nehmen in Folge Gifte zu uns, die man in der Alltagssprache „Medizin“ nennt. Diese Gifte haben die Aufgabe, das Symptom so schnell wie möglich zu beseitigen. Und damit wird auch damit ein Teil von uns selbst bekämpft. Nicht immer ist diese Vorgehensweise auf Dauer gesehen hilfreich, weil die Ursache damit oft erst gar nicht in den Blick gerät. Nach Ansicht vieler weiser Menschen beruhen alle physischen und psychischen Krankheiten, Konflikte, Auseinandersetzungen und Disharmonien in ihrer letzten Ursache auf Entscheidungen, und zwar auf solchen, die trennen, etwas abgrenzen oder abspalten und verletzen. Diese Entscheidung zur Abspaltung wurde in aller Regel vom einzelnen Menschen nicht bewusst getroffen. In nicht wenigen Fällen geschah diese Abspaltung auch von Menschen unseres Familiensystems und wir haben sie unbewusst-solidarisch übernommen.

Selbstverständlich wird durch diese Sichtweise der Segen, der von mancher Medizin für den einzelnen Kranken ausgeht, nicht in Frage gestellt. Das-zu-sich-Nehmen von Antibiotika, Hormonpräparaten, Kortison usw. oder die Durchführung von Operationen mag zwar immer wieder geboten sein, jedoch sind dies Eingriffe am Ende einer oft langen Wirkkette. Und sicher ist auch keineswegs etwas dagegen zu sagen, dass man, mit welchen Mitteln auch immer, symptomatisch auf einer nicht-ursächlichen Ebene vorgeht, um die Folgen und den Schmerz eines Problems zu lindern.

Krankheiten sind keine Feinde, sondern sehr oft der äußere Ausdruck von etwas, was von innen kommt. Häufig ist ein Krankheitssymptom ein äußerer Ausdruck dafür, dass etwas auf tieferer – und damit in der Regel unbewusster – Ebene nicht stimmt.

Was nicht stimmt, das kann ein eigener Lebens- oder Ernährungsstil sein. Auch nicht förderliche Einstellungen zu sich selbst und zum eigenen Leben, ein fehlender Lebenssinn, Überarbeitung usw., all dies können krankmachende Faktoren darstellen. Bestimmte innere Haltungen haben die starke Tendenz uns krank zu machen, wenn wir sie über längere Zeit pflegen. Dazu zählen besonders Hass, Neid, mangelnde Demut, Gier, Rachsucht, Eifersucht usw. Die Menschen des Mittelalters nannten diese Lebenshaltungen „Todsünden“, weil diese Seele und Körper gleichermaßen krank machen und schließlich zum seelischen oder physischen Tod führen. Die eigentlichen und zentralen Fragen zum Thema „Gesundheit und Krankheit“ lauten deshalb: „Will mir meine Seele durch dieses körperliche oder seelische Leiden etwas zeigen?“ Oder: „Welche Funktionen haben meine Symptome?“Im Neuen Testament erfahren wir, dass die Menschen zur Zeit Jesu Krankheit als Ergebnis und Folge von Sünde verstanden haben, entweder der eigenen oder der Sünden der Herkunftsfamilie. Aus heutiger – psychologisch-systemischer – Sicht, liegt viel Wahrheit in dieser Erkenntnis. Denn wenn wir Sünde nicht oberflächlich und verkürzt als Übertretung gültiger gesellschaftlicher oder religiöser Normen betrachten, sondern als ein „Im-Ungleichgewicht-Sein mit einer tieferen (göttlichen) Ordnung“ verstehen, dann macht dies aus psychologischer Sicht viel Sinn. Allzu häufig haben wir bei Aufstellungen schon den Zusammenhang von übernommener Schuld eines Vorfahren und eigener Krankheit erlebt.  Oder wir haben gesehen, wie sich Menschen vollkommen unbewusst mit denjenigen solidarisieren, die vor ihnen da waren, oder mit Menschen, die ihnen nahe stehen, indem sie deren Krankheiten übernommen haben. Diese archaische Liebesbezeugung macht in der Tat krank.

In den Überlieferungen der Shipibo-Indianer in Peru finden wir ebenfalls eine erstaunliche Sichtweise von Krankheit: Sie glauben, dass jedes Organ eine eigene Seele besitzt, ein gesundes Abbild, das stets unversehrt bleibt, auch wenn der Mensch erkrankt. Der Mensch erkrankt nach ihrer Vorstellung dann, wenn die Seele an sich oder die Seele des erkrankten Organs den Kontakt zum Körper verliert. Dann muss der Schamane das heilende Abbild des erkrankten Organs in den Landschaften der großen Seele aufspüren und es wieder in das Leben dieses Menschen integrieren. Dann geschieht Heilung.

In vielen Fällen hat Krankheit eine stellvertretende Funktion und kann in der Aufstellungsarbeit deshalb ausgezeichnet durch einen Stellvertreter aufgestellt werden. Häufig sehen wir bei gelungenen Aufstellungen von Krankheiten, dass sich das Krankheitssymptom als überflüssig empfindet und sich zurückzieht, wenn der Aufstellende die natürliche Ordnung in seiner Aufstellung gefunden hat oder die Person, durch die er mit seiner Krankheit verbunden (verstrickt) ist, ihren richtigen Platz im System erhält und dadurch gewürdigt wird. Das Aufstellen von Krankheitssymptomen macht das Symptom nicht einfach weg, kann aber einen Lösungsweg aufzeigen, so dass es sich bald überflüssig fühlt und sich verabschiedet, wie ein Helfer beim Umzug, der sieht, dass er nicht mehr gebraucht wird. Aufstellungen zielen darauf ab, die letzte Ursache zu finden, da, wo wir uns von der Einheit getrennt haben, wo wir (oder andere) uns gegen die Ganzheit entschieden haben, wo wir, bildlich gesprochen, einen Sündenfall (Sünde ist Sonderung oder Abwendung von Gott oder der Ur-Liebe) begangen haben. Aufstellungen zielen darauf ab, diesen Schritt wieder rückgängig zu machen und die damit verbundenen Anteile wieder in uns integrieren. Deshalb ist Aufstellungsarbeit eine tiefe Form der Versöhnungsarbeit und eine zutiefst spirituelle Arbeit.

zurück